[Das Lokal] [Der Dekorateur] [Der Preis]
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Ein schlichtes Messingschildchen kündet in
Pralinenschachtelschrift: Der autoritäre Salon.
(...) Das Geplauder, das in leisem Ton vonstatten geht,
dauert zehn Minuten, und dann sagt die Dame lieb: "Ich
werd Sie jetzt Ihrem Platz zuordnen." Sie geleitet mich an
einen Tisch, an dem ein Paar Holzstühle steht. "Nehmen
Sie diesen Stuhl!"
Ich handele wie angesagt, doch wie ich sitze, stört mich,
daß ich noch Schal und Mantel anhab. "Gibt es eine
Garderobe?"
"Nein", erwidert sie einfach, "behalten Sie Ihren Mantel
an, oder werfen Sie ihn in die Ecke da." Ich behalte ihn an
und werde nun gefragt nach Getränkewünschen. "Bier
oder Wasser?"
"Ich hätte gern einen Weißwein."
"Wir haben keinen Wein. Wollen Sie Bier oder Wasser?"
Wie Frau Schröder - so heißt die Dame - mir das Wasser
bringt, deutet sie mir an, daß sie mich in zwanzig Minuten
einem Gesprächspartner vorstellen werde, worauf sie sich
entfernt und an ein Fenster stellt.
Max Goldt, Der autoritäre Salon
Die "Villa Aurora" am Wilheminenberg ist ein prächtiges Ausflugslokal, dessen übliche Beschreibung
lautet: "Wie's Salettl, nur dreimal so groß". Und das stimmt. Guten Mutes nimmt man entweder im riesigen Garten
platz (Wieso heißt eigentlich die Pawlatschen "Gartenhaus Flora"?) oder im nett verwinkelten Haus
(Wieso hängt in jedem Türstock eigentlich ein exakter Raumplan mit Tischanordnung und -nummern?). Dann entdeckt
man, daß das Lokal offenbar von pensionierten Finanzbeamten geführt wird.
Spätestens beim Durchblättern der Speisekarte - Red Bull oder Weizenbier sucht man leider vergeblich -
wird man gründlich stutzig: Drei Viertel des Platzes werden von Formularen "zur freien Entnahme" eingenommen.
Für die Speisen, Getränke und Verhaltensmaßregeln bleibt wenig Platz. Eine der Maßregeln: Der Kavalier
zahlt für den ganzen Tisch. Drum gibt's nur eine Computerrechnung pro solchen.
Warum so viele Formulare? Warum überhaupt Formulare? Während man in allen minus eins Lokalen Wiens
das Anmieten eines Raums für eine Privatveranstaltung durch ein kurzes Gespräch mit dem Wirten
vereinbaren kann, muß man sich in der Villa Aurora eben dieser Formulare bedienen. Nach Lektüre wundert man sich,
daß nirgends eine Stempelmarke aufzukleben ist.
Zur Veranschaulichung nehmen wir an, man habe die Absicht, ein privates Kinderfest in der Villa Aurora zu veranstalten. Man nehme
das vollständig auszufüllende und abzugebende oder (bei dunkelrotem Hintergrund!) zu faxende Blatt, sich eine
halbe Stunde Zeit und beginne mit der Hausaufgabe:
RESERVIERUNG FÜR EIN KINDER(KOSTÜM)FEST
Wochentag: ___ Datum: ___ Aber: Eine Terminoption (Vorreservierung) ist leider nicht möglich. Unverbindlich ist
das Ganze natürlich auch.
Anlaß: Fest für Kinder bis 12 Jahre - selber schuld, wenn die Gschrappen schon zu groß sind.
Nun trägt man sein Geburtsdatum für eventuelle Glückwünsche noch ein und wichtige Daten wie
die Mobiltelefon- und die berufliche und die private Faxnummer, und schreitet zur Sache:
Der Saal im Gartenhaus heißt Theatersaal im Gartenhaus Flora, das Bauernhaus ruft sich nicht gerade schmalspurig
Festeparadies Altwiener Bergbauernhof Wolkenkuckucksheim mit Wiesenvorplatz, und aus den beiden darf man
wählen. Kein Problem. Auch das Degustations- (nicht Herumwerf-?) Buffet beinhaltet schönerweise u.a.
Erdäpfel-Krapferl mit mildem Ketchup. Es ist schließlich für Kinder, darum mild. Was
allerdings noch interessieren würde: Handelt es sich um rotes mildes Ketchup? Getrunken
wird Früchte-Tee und Coca-Cola. Wer allerdings nicht fix weiß, wieviele Personen kommen werden,
braucht wohl gar nicht erst weiterauszufüllen.
Ein Mitbringen von Speisen und Getränken ist nicht möglich, klar, aber bei einem Geburtstagsfest ...?
Ausnahme: Geburtstagstorte - ach ja, gottseidank.
Attraktionen gefällig? Die Villa Aurora vermittelt derlei galore: Artisten, Clowns, Sagen- und
Märchenerzähler, Schattenspieler, Stelzengeher, Jongleusen, Maronibrater (aber nur ohne mitgebrachte Maroni
wahrscheinlich), Werkelmänner, Illusionisten und Zauberer. Warum keine Herren ohne Unterleib, Dosenschießer,
Bratgutbeschwerer?
Bei der Musik wird's haarig: Separate Musikanlagen oder selbst engagierte Live-Gruppen werden bei Nichtvorliegen
einer schriftlichen Zustimmung (die man nur in Ausnahmefällen bekommt) des Feldes verwiesen, und ebenso
sind Blechinstrumente, Schlagzeug und Elektroverstärkung in jedem Fall ausgeschlossen. Pianisten hingegen
darf man mitbringen, aber beim Metronom wird sich's wahrscheinlich spießen, von wegen Schlagzeug. Wer dieser
Pianist ist, muß aber vermerkt werden, denn sonst würde er als über zwölfjähriges Kind
betrachtet und rausgeschmissen werden. Weitere interessierende Namen: Fotograf und Dekorateur!
Wieviele Vasen für Blumen sollen auf dem separaten Tisch für Vasen und Geschenke sein? Offenbar ist
für diesen Zweck nur ein Tisch vorgesehen. Logisch, denn die Personentische in ihrer anordnerischen Vielgestalt
nehmen im Wolkenkuckucksparadies sicher viel Platz ein:
Anordnung der Tische: U-Form T-Form
I-Form (!) Block-Form
Vierer- und Sechser-Tische
Und Tische in Punktform, d.h., Einzeltische? ... Ahso, die fallen unter Blockform, alles klar.
Was bezüglich der Tischanordnung mit Empfohlen durch: ___ gemeint ist, sollte erklärt werden. Ist hier
der Name des Dekorateurs nochmals einzufüllen? Oder "Meine Frau"? Vorsicht, allzu geschwind macht man
hier einen Formalfehler, und die ganze Eingabe ist fürn Hugo.
Erbetenes Muster der Einladungskarte beigelegt wird bis ___
verläßlich im Postwege übermittelt.
Verständlich, daß das nötig ist. Würden Sie in Ihrem Lokal Gäste haben wollen, die womöglich hinter
Ihrem Rücken Sachen wie "Vorsicht, die Kellner sind bewaffnet" oder ähnliche Scherze auf die Einladungen
schreiben? Nur schade, daß die Übermittlung im Faxwege nicht geht.
3000 S Kaution, 2500 Akonto, 850 Miete, 195 pro Degustant, am besten alles bar (keine Kreditkarten) - dafür
bekommt man aber auch Kopiervorlagen des Parkplatzplans zur Beiheftung zu den Einladungen - das ist ein
Service.
Schließlich muß man, so die Fußnote, alle Punkte, die man nicht angekreuzt hat, durchstreichen.
Dafür wird man belehrt, daß man mit dem Wagen zwischen zehn und elf Uhr vormittags zufahren kann,
allerdings im Garten absolut nicht parken darf.
Nun darf man unterschreiben und auf dem Heimweg, wieder ausgenüchtert, am Schlußsatz kiefeln, der noch im
Magen liegt: Es wird sehr höflich ersucht, dafür Sorge tragen zu wollen, daß nur ein Ansprechpartner die
Begleichung der Konsumationen - wenn auch nur einstweilen - übernimmt.
Heißa, das wird ein lustiges Fest!
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