Nr.3
In dieser Kolumne soll erläutert werden, wie es kommt, daß ein vollständiger
Kreis feinster Freunde aus guten Kreisen mit von Siederohrbögen bearbeiteten Köpfen
samstags um 21.30 durch die Billrothstraße nachhause wankt. Und wer schuld ist.
Es gibt im Leben eines umgänglichen Menschen immer wieder diese Situationen, daß er
mit netten Leuten beim Bier sitzt und einer plötzlich anfängt, in einer Weise Sachen zu
singen, die sich für anständige Menschen nicht geziemt. Ich meine hier: laut und
deutlich. So sollte man in der gepflegten Gasthofbrauerei sprechen, aber bezüglich des
Singens ist von einem solchen Vorgehen abzusehen.
Es kommt natürlich darauf an, was und in welcher Sprache man singt. Diesen banalen Satz
werde ich im folgenden versuchen dermaßen zu begründen, daß der Leser ihm trotz
seiner Banalität wertvolle Informationen entnehmen kann. Es gibt - um es drastisch zu
vereinfachen - drei verschiedene Arten von ordinären Liedern. Wären sie nicht
verschieden, wären es ja auch weniger Arten. Aber diese drei Arten, von denen ich spreche,
haben keinen gemeinsamen Nenner, sind also unter allen Sparten von obszönen Musiknummern
sozusagen die Primzahlen.
Die erste Art ist harmlos, und auch ein Trunkener kann sie ohne Bedenken auf der Zunge
führen: Die fremdsprachigen ordinären Lieder, welche in den Ländern, in denen die
fremde Sprache gesprochen wird, als gar nicht ordinär gelten, lediglich in unseren breiten
Gefilden, und auch nur deswegen, weil wir alle so unlässig sind und gleich verschämt
und nervös im Bier zu stochern beginnen, wenn wir sie in die Ohren kriegen. Hier wären
beispielsweise zu erwähnen: Spaniens Ohrenfreude Asunción, quiero hacerte el amor en avión,
die Italo-Sahne namens Due inammorati come noi (Laura Pausini) und die portugiesische
Nationalhymne, welche ausschließlich vom Ficken handeln. In Wien versteht die aber keiner,
da die Leute sowieso entweder zu ungebildet oder zu besoffen sind.
Bei Ever- und Nevergreens der zweiten Spielart muß man die Vorsicht bereits erhöht
walten lassen; das sind jene Liedln, die bei uns zwar auch nicht verstanden werden, aber auch
im Ausland als zutiefst ordinär verpönt sind, also Obacht mit den Touristen, die
physisch imstande sind, geschmalzene Plafs auszugeben. Da gibt es zum Beispiel Bonbon aus
Wurst (Helge Schneider), den griechischen Agapi-Hammer (wobei: agapi=Liebe) Den
yparchi tipota und die albanische Nationalhymne. Die Texte handeln von nichts anderem als
Sex mit Tieren, und nicht einmal von vorne!
Die dritte Art (z.B. verschiedene innerösterreichische Hymnen) beschert bei
allfälligem Vortrag sowieso einen Siederohrbogen oder Gleichwertiges aufs Haupt mit
anschließendem Lokalverbot. Solche Sachen, die in In- und Ausland gleichermaßen
ein Garant für Prügel wie für Mobbing sind, werden stets von Joggern vorgetragen.
Jogger sind jene Leute, die ähnlich wie Wiener Sängerknaben gekleidet (Frauen haben
statt der lächerlichen Kappe allerdings einen Kringel um ihren Pferdeschwanz) herumlaufen,
vorzugsweise am Auto vorbei, wenn man gerade ausparkt und nach vielen hundert Sekunden einmal
eine Verkehrslücke ist. Auch bremsen sie sich grundsätzlich nie ein, wenn sie an eine
Kreuzung gelangen, sodaß man, falls man mit einem Vehikel oder zu Pferd unterwegs ist,
immer aufs Gas (beim Pferd auf den Bauch) steigen muß, um vor ihnen rüberzukommen.
Wiederum manche dieser Leute, die abends bereits nach einem Viertel dem Weine
ähnlichsehender Flüssgkeit beschwipst sind (ich meine, daß sie eine solche
Flüssigkeit einnehmen und nicht darin etwa baden, denn es wäre dem Geschick der
Menschheit in jedem Fall abträglich, würde man schon vom schieren Baden in gelben
oder roten Wassern berauscht werden, womit ich sicher reichlich Zustimmung ernte) und in der
Folge Lieder, die eine Bomben- und Granatenstimmung auslösen, von sich geben, haben halt
keine "Unterlag", was alles erklärt. Sie haben den Magen aufgrund Sportelns und Wenigessens
völlig leer, und drum lechzt der Magen nun nach allem, was so in Reichweite gelangt. Das
ist in unserem schillernden Beispiel eben Alkohol, und jetzt kann der Sachverhalt als
geklärt gelten.
Aber wo laufen in der urbanen Urbs die Jogger, außer mit Scheuklappen über Kreuzungen
und an ausparkenden Autos vorbei? In Wien ist beispielsweise der Donaukanalradweg sehr beliebt,
um die Meter und Abermeter abzuspulen. Mancher joggt von Heiligenstadt in die Innenstadt zum
Schwedenplatz, dann wieder nach Heiligenstadt, und nach einem Blick auf den Tacho stellt er
kritisch fest: "Oje, erst acht Kilometer. Sogar Jörg Haider kann länger."
Nun muß er, so er nicht mit der FPÖ sympathisiert, weiterrennen, und das sogar mit
ideologischem Antrieb. Drum schleppt er sich über Heiligenstadt hinaus nach Nußdorf,
dann wieder zurück nach Heiligenstadt, dann wieder nach Nußdorf, dort macht er
beispielsweise auf dem Bauch liegend eine Pause, kommt drauf, daß der Haider
unmöglich weiter gelaufen sein kann und fährt mit der Straßenbahn heim nach
Heiligenstadt. Dort nimmt er ein Bad, von welchem er gottlob nicht betrunken wird, schläft
in diesem ein, wacht um fünf vor einundzwanzig Uhr auf, hetzt ins Fischerbräu, trinkt
ein kleines Helles und kramt im leider leider nicht genügend gut verschlossenen Archiv der
allerorts unanständigen Lieder. So nimmt das Unglück seinen Lauf, und die gesamte
anwesende Bagage wankt schließlich mit von Siederohrbögen verunstalteten
Häuptern nachhause.
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